Den Raum halten statt abzuspalten

Den Raum halten statt abzuspalten - der Lockdown für Ungeimpfte aus der Sicht des Yoga

Lockdown für Ungeimpfte aus der Perspektive des Yoga

Lockdown nur für Ungeimpfte – ist das möglich?

Jetzt sitzen wir also wieder im Lockdown. Nein, (noch?) nicht alle, nur die Ungeimpften. Und ich gehöre doch zu den Geimpften. Dennoch sitze ich im Lockdown. Denn der Lockdown der Ungeimpften lässt sich vom Lockdown der Geimpften nicht trennen.

Ich gehe kaum wohin, wo ich einen 2G-Nachweis bräuchte. Aber ich empfange im Yogaraum Yogaschüler, von denen ein Drittel nicht geimpft sind. Die meisten von ihnen haben zwar Antikörper von einer vorangegangen, bei manchen gar nicht bemerkten Infektion und sind damit wahrscheinlich genauso immun wie die Geimpften. Aber der Antikörpernachweis gilt ja nicht mehr, der Genesungsnachweis auch nicht, weil die Infektion mehr als ein halbes Jahr her ist.

Die Ungeimpften unter meinen Yogaschülern sind nicht nur meine besten Kunden, sondern vor allem großartige Menschen, die ich liebgewonnen habe und mit denen ich gerne zusammen bin. Und mit denen ich jetzt nicht mehr zusammen sein darf. Obwohl ich selbst geimpft bin. Und obwohl sich alle immer brav testen ließen, wir genug Abstand halten, viel lüften und sich im Yogaraum noch nie jemand angesteckt hat. Weder mit Corona noch mit sonst einer Krankheit.

Wenn Mitwirkung an der Spaltung verlangt wird

Ich sitze also wieder im Lockdown und stelle mir wieder, wie schon vor einem Jahr, die Frage, wie ich damit umgehen soll. Wie exekutiere ich eine Verordnung, die von mir verlangt, Kursteilnehmerinnen, die gerne zu mir kommen möchten, auszuschließen, nur weil sie nicht geimpft sind? Wie löse ich das Problem, dass zwei von vier Kursen ohne die Ungeimpften gar nicht mehr zustande kommen, weil die Mindestteilnehmerzahl für ein Gruppenfeeling nicht mehr erreicht ist? Was mache ich mit den gerade erst bezahlten Kursbeiträgen?

Wieder höre ich, dass das alles notwendig sei, weil die Infektionszahlen steigen und die Kapazitäten in den Intensivstationen überlastet sind. Wieder dasselbe wie vor einem Jahr. Nur dass es inzwischen ausreichend Impfstoff und Tests gibt. Dafür umso weniger Perspektive. Denn vor einem Jahr gab es noch die Hoffnung, dass mit der Impfung alles besser wird. Jetzt gibt es stattdessen eine Spaltung der Gesellschaft. In Menschen, die geimpft sind und solche, die sich nicht impfen lassen wollen. Eine Spaltung, die mir Sorge bereitet und mich vor schwierige Entscheidungen stellt. Besser geworden ist damit kaum etwas.

Die Illusion von Müsste, Könnte, Sollte …

Verlockend der Gedanke, es könnte doch alles ganz einfach sein. Es müssten sich nur alle impfen lassen, dann könnten alle kommen. Ich könnte die Kurse ganz normal weiterführen, ohne Stress, ohne innere Zerrissenheit, ohne Zwiespalt. Ja, und vor allem ohne Spaltung in geimpft und ungeimpft, in gut und böse, in frei und unfrei. Alles wäre kein Problem.

Die nüchternen Fakten sind ja auch ziemlich klar: Die Wahrscheinlichkeit, einen schweren gesundheitlichen Schaden zu erleiden, ist durch eine Impfung viel geringer als durch eine Erkrankung. Auch die Wahrscheinlichkeit, jemanden anzustecken, ist geimpft geringer als ungeimpft. Die mRNA-Impfung ist inzwischen milliardenfach erprobt. Und sie ist auch keine Gen-Therapie, wie manche Polemiker behaupten, da sie weder eine Therapie ist noch unsere Gene beeinflusst, sondern anstatt eines ganzen Virus nur jenen Teil seines nicht reproduktionsfähigen Genoms enthält, die die Antikörperproduktion ankurbelt. Eigentlich eine geniale Weiterentwicklung der bisherigen Totimpfung.

Der kleine Geist und die Ängste des Nichtwissens

Es könnte alles ganz einfach sein. Theoretisch. Doch die Dynamik des Lebens ist nicht einfach. Sie ist hochkomplex. Und es gibt so vieles, was wir nicht wissen. Nichtwissen erzeugt Unbehagen, erzeugt Ängste, diffuse Ängste. Und sie erzeugt Meinungen, unterschiedliche, einander widersprechende Meinungen. Einander widersprechende Meinungen erzeugen noch mehr Unbehagen. Was soll man glauben? Deshalb entspricht es der Natur des kleinen, menschlichen Geistes, sich für eine bestimmte Meinung zu entscheiden und nur noch jene Informationen an sich heranzulassen, die die eigene, bereits gefasste Meinung bestätigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Information, Erfahrung, Meinung oder bewusste Desinformation handelt.

Entscheidungen werden nie rein rational, aufgrund von Fakten getroffenen. Das ist auch kaum möglich. Wenn man alle relevanten Fakten einbezieht, ergibt sich ein höchst vielfältiges, komplexes Bild. Und Fakten müssen gewichtet und bewertet werden.

Was ist normal im Feld kollektiver Emotionen?

Entscheidungen werden also vor allem aufgrund von Emotionen getroffen. Individueller und kollektiver Emotionen. Kollektive Emotionen schaffen ein Feld, eine Dynamik, die niemand kontrollieren und der sich kaum jemand entziehen kann. Sie schaffen ein Feld, in dem Dinge normal werden, die vorher undenkbar gewesen wären. Unser Geist gewöhnt sich sehr schnell an sehr vieles und stellt es irgendwann nicht mehr in Frage. Hätte sich vor 3 Jahren jemand vorstellen können, dass der Impfstatus zum entscheidenden Kriterium dafür wird, ob sich jemand frei bewegen darf? Ob er an Veranstaltungen teilnehmen darf, die seine Gesundheit fördern?

Yoga heißt, alles heranzulassen, zu fühlen und zu verstehen

Wenn ich alles an mich heranlasse, was an Informationen, Emotionen, Halbwahrheiten, Fakenews und individuellen Erfahrungsberichten im Internet kursiert oder weitererzählt wird, dann ist es auf einmal nicht mehr so einfach wie es auf den ersten Blick scheint. Dann kann ich Menschen verstehen, die vor der Impfung mehr Angst haben als vor der Erkrankung, auch wenn diese Angst irrational sein mag. Immerhin gibt es tatsächlich Menschen, die daran gestorben sind oder schwere Komplikationen hatten. Auch wenn dies sehr selten vorkommt – für die, die davon betroffen sind, ist es eine große Tragödie. Und ich fühle ihren Schmerz. Und die Angst, die diese Fälle bei anderen erzeugen.

Wenn ich mich mit dem Immunsystem beschäftige und damit, wie man es stärken kann und mit den zahlreichen naturheilkundlichen Mitteln, mit denen einer schweren Covid-Erkrankung vorgebeugt bzw. mit deren Hilfe sie schon im Anfangsstadium gut abgefangen werden kann, dann ist es für mich gut nachvollziehbar, dass Menschen lieber auf die Natur vertrauen als auf die Pharmakologen.

Ich verstehe aber auch die Not und Erschöpfung der Pfleger und Ärzte, die in den Krankenhäusern um das Leben jedes einzelnen Patienten ringen. Die zahlreichen Dilemmata der Politik und dass politische Entscheidungen nicht auf jeden Einzelfall eingehen können und deshalb so manch Absurditäten hervorbringen.

Im Raum des Gewahrseins hat alles Platz

Wenn ich still werde, ohne sofort Stellung zu beziehen und damit alles, was nicht meinem eigenen Standpunkt entspricht, abzuspalten, wenn ich alle Emotionen an mich heranlasse, die im Raum des Geistes herumschwirren, dann praktiziere ich Yoga. Denn Yoga bedeutet „verbinden, vereinigen“. Yoga ist das Gegenteil von Spaltung. Yoga ist das Ganze, das Vollkommene, das nichts ausschließt.

Wenn ich auf diese Weise Yoga praktiziere, dann tauchen all diese und noch viele andere Aspekte der Pandemie gleichzeitig im unendlichen Mandala des Gewahrseins auf. Und sie stehen dort in keinem Widerspruch und werden nicht bewertet als gut oder schlecht, richtig oder falsch. Sie sind einfach, was sie sind. Das ganze Kaleidoskop an unterschiedlichen Erfahrungen, Sichtweisen, geistigen Konzepten und Emotionen ist in mir und darf dort sein. Es hat in mir Platz. Und ich bin viel größer als all das.

Einfach nur fühlen – in der Weite des Herzens

Ich fühle die Wut der Geimpften auf jene Ungeimpften, die die Krankenhäuser füllen. Und wie sich jene diskriminiert fühlen, die sich vorsichtig und gesundheitsbewusst verhalten und jetzt als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Ich fühle die Plan- und Hilflosigkeit der Politiker, die sich in einer Situation wiederfinden, auf die sie nie vorbereitet wurden, genauso wie den Ärger der Bürger, die klare und umsetzbare Strategien vermissen. Den Unmut und den Widerstand über die Freiheitsbeschränkungen genauso wie die Dramatik auf den Intensivstationen.

Die Atemnot des Covid-Kranken, der die Gefährlichkeit des Virus unterschätzt hat. Und die Sorglosigkeit jener, die es nicht einmal bemerkt haben, als sie infiziert wurden. Ich fühle nicht nur die Erschöpfung der Pflegekräfte und Ärzte, sondern auch die der vielen Menschen, die unter den Maßnahmen leiden. Die sich auf nichts mehr einstellen und nichts mehr planen können. Die einsam, isoliert und aus der Bahn geworfen sind. Ich fühle die Kränkung vieler, die entfreundet oder von der Familie verstoßen werden, nur weil sie anderer Meinung sind. Das Unverständnis, den Ärger und die Fassungslosigkeit über das Verhalten der jeweils anderen von jenen, die sich selbst im Recht wähnen.

Im göttlichen Theater sind alle Rollen wichtig

All das und vieles andere hat Platz in meinem Geist. Und da ist immer noch Raum. Alle Menschen mit all ihren Emotionen haben Platz in der Weite meines Herzens. Und Mitgefühl umhüllt und durchdringt sie. Da ist unendlicher Raum, unermessliche Liebe. Alles darf sein. Nichts muss abgespalten werden, nichts muss verurteilt werden.

Wenn ich auf diese Weise Yoga praktiziere, erkenne ich, dass jeder Akteur in diesem großen Drama wichtig ist. Jeder spielt die ihm zugedachte Rolle. Und keiner darf fehlen. Keiner könnte ohne alle anderen so sein, wie er ist. Alle Rollen haben ihre Berechtigung und ihre eigene Schönheit, selbst die der scheinbaren Bösewichte. Keiner könnte ohne den anderen sein. Nur alle zusammen ergeben das ganze Bild, das Kunstwerk des Lebens. Jeder von ihnen ist wie ein Klang in der großen göttlichen Symphonie, in der die Dissonanzen, die sich schließlich auflösen, erst den Reiz ausmachen.

Der EINE Geist hinter dem Schleier der Maya

Auch der Tod gehört dazu, der von jeher das biologische Leben beendet und neues ermöglicht hat. Dieser Meister der Verwandlung, der so manchen Leidenden von den Fesseln seines Körpers befreit und ihm ein unbeschwerteres Leben in der Astralwelt ermöglicht, ehe er in einen neuen Körper zurückgezogen wird. Auch er hat seine Berechtigung und seine Würde. Und im Verstehen, was er ist, verliert er seinen Schrecken.

Wenn ich alles hineinnehme und umfange mit der grenzenlosen Liebe, sehe ich ein harmonisches Zusammenspiel, in dem nichts falsch ist. Einen fließenden Strom sich ständig wandelnder, faszinierender Vielfalt, in jedem Moment neu geboren aus der Schöpferkraft der Göttin. Und wenn ich hinter den Schleier der Maya schaue, erkenne ich den EINEN, unwandelbaren, strahlenden Geist, von dem alles durchdrungen ist. In dem alles Platz hat und der niemals gespalten werden kann.

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4 Gedanken zu “Den Raum halten statt abzuspalten”

  1. 🧡🙏Spaltung ist Zerstörung und das widerspricht dem Yoga. Du sagst es: Der Yoga verbindet und trennt nicht! Wir sollten den Raum halten für Alle – Egal welche Entscheidung und das geht auch sicher, mit Rücksicht und Achtsamkeit. 🧘‍♀️ Ich sende dir klare Sicht auf das und gute Entscheidungen im Sinne der Verbindung und einen Raum für Achtung, Wertschätzung und Würdigung.
    Danke für diesen Artikel.

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    1. Liebe Claudia,

      danke für deine Worte! Ja, ein achtsamer und rücksichtsvoller Umgang miteinander ist gerade jetzt besonders wichtig. Inzwischen spitzt sich die Lage ja noch mehr zu und wird mit der geplanten Impfpflicht wohl noch weiter eskalieren, fürchte ich.

      Alles Liebe für dich und deine Arbeit
      Dechen

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  2. Die Spaltung der Gesellschaft zu sehen macht mich sehr traurig und teils auch wütend.
    Die Pandemie geht uns alle an, nur
    GEMEINSAM können wir gegen sie was ausrichten. Und vielleicht auch etwas mitnehmen, wenn wir genau hinhören (ich glaube, dass das Virus, auch wenn wir es nicht oder noch nicht sehen und wir es auch nicht wahrhaben wollen, einen Sinn hat).
    Stattdessen bekämpfen wir uns gegenseitig und sind dabei so laut, dass wir alles andere nicht wahrnehmen.

    Ich bin selbst ungeimpft. Und total zerrissen. Impfen, um dem Druck auf die Ungeimpften zu entgehen oder in den Widerstand gehen – egal, wie ich mich entscheide, es geht so oder so mit einer Spaltung der Gesellschaft einher. Das ist aber genau das, was ich nicht möchte, was ich auch nicht auf meiner Yogamatte praktiziere.
    Eine Polarisierung der Gesellschaft ist der falsche Weg. Vielleicht ist es das, was uns das Virus mitgeben will.

    Ich würde mir wünschen, dass sich alle zusammen tun und gemeinsam (wo alle Meinungen, Einstellungen sein dürfen) nach Auswegen suchen. Weit ab von Parteizugehörigkeiten, Ideologien, Verschwörungstheorien …

    Es geht um die Akzeptanz der unterschiedlichen Ansichten und Einstellungen. Dann werden wir auch wieder bereit sein, im Sinne der Gemeinschaft Lösungen und Kompromisse zu finden.
    Wie Du schreibst, es geht um das Verständnis für die Anderen.

    Vielen Dank für Deinen Beitrag und die Denkanstöße.

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    1. Liebe Kerstin,
      danke für deine Gedanken. Ja, die Polarisierung ist der falsche Weg. Leider wird er von beiden Seiten betrieben. Dabei ist es für die meisten gesunden Menschen so, dass sie weder durch die Infektion noch durch die Impfung schweren Schaden erleiden. Das größte Problem für die breite Masse sind die Einschränkungen, vor allem die Lockdowns.
      Zu deiner Zerrissenheit, ob dem Druck nachgeben oder in den Widerstand gehen: Meiner Meinung nach zahlt es sich, selbst wenn man der Impfung skeptisch gegenübersteht, nicht aus, die Impffrage zum alles bestimmenden Lebensthema zu machen. Es gibt wirklich wichtigere Themen, für die es sich lohnt, seine Lebensenergie einzusetzen.
      Gleichzeitig würde ich mir von der Regierung wünschen, dass sie sich auf die Aufgabe zurückzieht, ausreichend Impfstoff und Tests zur Verfügung zu stellen und ansonsten den Menschen ihre Eigenverantwortung zurückgibt.
      Alles Liebe und eine gute Entscheidung für dich persönlich,
      Dechen

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